Ein Interview mit Wolfgang Stelling, Inhaber der L’Art de Vivre Unternehmensberatung
1. Wie würden Sie Luxus definieren?
Konsum von Waren und Dienstleistungen, der das normal übliche Maß deutlich übersteigt und somit eigentlich völlig überflüssig ist. Die Porsche AG hat vor vielen Jahren in einem Film für ihre Aktionäre einmal die provokante Frage gestellt: „Wofür braucht man eigentlich einen Porsche?“ und sinngemäß ergänzt, es gäbe doch wesentlich effizientere Automobile, um von A nach B zu gelangen. Luxus ist sehr individuell und betrifft alle Bevölkerungsschichten. Für einen Harz IV Empfänger definiert sich Luxus anders als für einen Millionär.
2. In wie weit hat in den letzten Jahren ein Wandel über die Auffassung von Luxus Ihrer Meinung nach stattgefunden?
Luxus ist heutzutage wesentlich allgegenwärtiger als noch vor vielen Jahren. Beigetragen dazu haben m. E. die allgemeine Medienentwicklung, d. h. Fernsehen, Internet, Social Media und außerdem der insgesamt steigende Wohlstand. Somit wird Luxus heutzutage deutlicher wahrgenommen weil er präsenter ist. Das ändert aber nichts an der leibvollen Neiddebatte, die wir in Deutschland leider immer noch führen. Das beste Beispiel ist die aktuelle Diskussion über Managergehälter. Insofern würde ich mir wünschen, dass wir uns ein Wenig von den Amerikanern abschauen. Dort wird Erfolg, und somit auch die Möglichkeit Luxus zu genießen, bewundert und nicht geneidet. Deswegen kann ich hierzulande keine wirkliche Veränderung feststellen. Fakt ist jedenfalls, dass sich mehr Menschen häufiger einmal etwas „luxuriöses“ gönnen wollen und können.
3. Wie würden Sie die Entwicklung und Trends der letzten Jahre im Bereich New-Luxury
und Old-Luxury bewerten?
Die Problematik des New-Luxury besteht in der Tatsache, dass sie keine Tradition besitzt. Also über viele Jahrzehnte entwickelten Werte. Unternehmen und Marken, die sich im neuen Luxus bewegen, müssen also durch andere Dinge überzeugen. Ein gutes Bespiel ist sicherlich die Handy-Marke VERTU. Veraltete Technologie aber ein außergewöhnlich hohes und exklusives Serviceniveau. Die Gefahr neuerer Luxusmarken sehe ich in erster Linie in der Nachhaltigkeit. Viele Marken kommen und gehen. Und das betrifft auch den neuen Luxus. Bei den alten Luxusmarken stehen wir vor einem gewaltigen Konzentrationsprozess. Kering (vormals PPR) und LVMH streiten heftig über die Vormachtstellung im Luxussegment. Traditionsreiche Unternehmen werden reihenweise von einem dieser beiden Konzerne übernommen. Und ein Ende ist nicht absehbar. Aus wirtschaftlichen Gründen werden sich die verschiedenen Marken, die innerhalb eines Konzerns geführt werden, über kurz oder lang immer ähnlicher. Dies können wir u. a. auch bei der SWATCH Group beobachten. Dort wird die Verwendung gleicher Bauteile für die unterschiedlichen Luxusuhrenmarken sehr stark vorangetrieben. Am Ende steht dann nur noch die visuelle Differenzierung.
4. Luxus ist mittlerweile allgegenwärtig und es wird schwer eine klare Definition des Begriffes herauszufiltern. Gerade in den beiden letzten Jahrzehnten fand ein gezielter, immer stärker werdender Wandel in den Strategien von Premium- und Luxusmarken statt, trading-up von Premiummarken, sowie auf der anderen Seite trading‐down von Luxusmarken um die Mittelschicht wie HENRY’s zu erreichen. Wo sehen Sie Chancen und Gefahren im Masstige-Marketing für Luxusfirmen?
Es ist der Verlust der Identität und damit eines der wichtigsten Markenwerte. Es kann der Anfang vom Ende sein und die Vernichtung von Werten. Betrachtet man sich bei einzelnen Unternehmen die über Jahre kumulierten Investitionen in die Marke so wissen wir über welche finanziellen Folgen wir sprechen. Und die immateriellen Schäden sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ich kann zwar verstehen, dass Luxusfirmen aus wirtschaftlichen Zwängen heraus neue Käuferschichten ansprechen müssen, aber dies sollte m. E. nicht über eine trading-down Strategie erfolgen. Das Resultat wäre nämlich, dass auch die eigentliche Kernkäuferschaft sich von der Marke abwendet. Ein Spagat, der nicht funktioniert.
5. Worin liegt der Kern eines Luxusunternehmens eine Masstige-Strategie erfolgreich
zu fahren?
Nennen Sie mir doch mal ein Beispiel wo dies erfolgreich praktiziert wurde? Ich kenne jedenfalls keines. Um den vorher genannten Gefahren zu entgehen hat sich für Luxusunternehmen die Lizensierung als erfolgreiche Methode herauskristallisiert. D. h. neue Märkte und Segmente können bedient werden, ohne dass die Kernmarke Schaden nimmt. Pseudoluxus wird so für breite Schichten erschwinglich. Gute Beispiele gibt es in der Kosmetikbranche und bei Sonnenbrillen. Wir beraten viele Unternehmen, die nämlich genau vor der von Ihnen beschriebenen Problematik stehen. Wirkliche Luxusmarken kennen nur einen Standard. Nämlich einen extrem hohen. Würde man als Unternehmen günstigere Produkte anbieten so hätte dies zur Folge, dass man entweder in neue und günstigere Produktionsverfahren investieren oder mit geringeren Deckungsbeiträgen leben müsste.
6. Gibt es Ihrer Meinung nach ein Erfolgsrezept um die Balance zwischen Masstige und Exklusivität zu halten?
Wie bereits gesagt. Eine gute Methode ist die Vergabe von Markenlizenzen. Natürlich liegen auch hierin Gefahren, aber mit einem guten Management kann so sehr erfolgreich expandiert werden. Ein anderer Weg ist die Einführung von Subbrands wie z. B. HUGO von Boss oder Emporio Armani oder auch CK by Calvin Klein. Die Differenzierung ist hier die Herausforderung.
7. Was verbinden Sie persönlich mit Montblanc?/ Was kommt Ihnen in den Sinn,
wenn Sie an Montblanc denken?
Exklusive und hochwertige Schreibgeräte, die in Deutschland hergestellt werden.
8. Wie beurteilen Sie das Angebot von Montblanc bezüglich Preis- und Produktspanne?
Um hier wirklich eine fundierte Aussage machen zu können, müsste ich mich zunächst intensiv mit dem Sortiment auseinandersetzen.
9. Wie sehen Sie die Vielfalt der verschiedenen Distributionswege (Boutiquen, Online, Wholesale, Juweliere), welche Montblanc nutzt, würden Sie dies als Chance beurteilen oder sind Sie der Meinung, dass die Risiken überwiegen?
Beides hat vor und Nachteile. Die Nachteile einer breit aufgestellten Distribution sind der Verlust von Kontrolle und Exklusivität. Andererseits wird die Marke hierdurch natürlich für viel mehr Konsumenten erlebbar und zugänglich. Es gibt Unternehmen, die eine erfolgreiche Abkehr von der Mass-Distribution geschafft haben und heutzutage ihr Geschäft wesentlich erfolgreicher über Monobrandstores führen. B&O ist so ein Fall. Aber auch bei Hugo Boss geht die Entwicklung in diese Richtung. Auch die Swatch Group investiert verstärkt in eigene Markenboutiquen z. B. mit ihrer Marke OMEGA. Luxusmarken benötigten eine stringente Kommunikation. Und das betrifft auch das Verkaufspersonal. Es ist doch selbstverständlich, dass sich ein Verkäufer in einem Monobrandstore anders mit der Marke identifiziert und diese verkörpert als ein Verkäufer in einem Multibrandstore. Das beginnt bei der Kenntnis über die Marke und endet bei dem fehlenden Wissen über Materialien und Herstellungsmethoden.
10. Sehen Sie Potenzial für Montblanc bezüglich einer Masstige‐Strategie? Wenn ja, was würden Sie dem Brand raten bei der Umsetzung einer solchen Strategie.
Das kann man so nicht einfach beantworten. Dazu müsste ich mehr Einblick in das Unternehmen haben. Ganz grundsätzlich lässt sich aber raten, nichts überstürzt zu machen und das Für und Wider sehr wohl abzuwägen. Potenzial gibt es aber sicherlich. Die Frage ist jedoch, könnte die Marke über eine andere als eine Masstige-Strategie mehr Potenzial erschließen.